Krankenhausmonopoly!

Kürzlich diskutierte ich mit einem Bauingenieur über die Medizin. Er war völlig fassungslos, dass man mit oft lebensbedrohlich kranken Menschen Gewinn machen wolle.

16. Wie macht man mit Krankheiten Gewinn?

Früher wurden Krankenhäuser für die Tage bezahlt, an denen ein Patient stationär behandelt wurde. Vielleicht wurden manche Patienten länger als unbedingt nötig behandelt, – wobei „nötig“ ja nicht so leicht zu definieren ist. Sie als Patient würde es wahrscheinlich nicht so sehr stören, wenn Sie so lange stationär bleiben könnten, bis Sie sich wieder fit fühlen, aber Staat und Versicherungen, die sogenannten Leistungsträger im Gesundheitssystem behaupten, dass das zu viel Geld koste. Übrigens, – Patienten werden zu diesem und anderen Themen im Gesundheitswesen grundsätzlich nicht gefragt, was die Verantwortlichen anscheinend für selbstverständlich halten.

Foto: Manfred Koschabek

Um die Krankenhauskosten besser in den Griff zu bekommen, wurden die Fallpauschalen (1) eingeführt: Ein Krankenhaus bekommt pro Diagnose und Schweregrad eine definierte Summe. Auf den ersten Blick macht das durchaus Sinn, denn die Behandlung schwerer Krankheiten kostet mehr als die leichter. Der Teufel sitzt im Detail und das ist in diesem Fall die Behandlungsdauer: die wird weder für Diagnose noch für Schweregrad festgelegt und bleibt somit im Ermessen des Krankenhauses. Da sie aber die entstehenden Kosten wesentlich bestimmt, hat sie massiven Einfluss auf den Gewinn des Krankenhauses. Wenn die Behandlung zu lange dauert, übersteigen die Kosten die Pauschale, das Krankenhaus zahlt drauf. Wenn alles wie geschmiert läuft und der Patient schnell entlassen werden kann, macht das Krankenhaus Gewinn.

Sie haben schon richtig gelesen: Es gibt also die Möglichkeit, dass ein Krankenhaus mit Ihrer Krankheit, bzw. mit der Wiederherstellung Ihrer Gesundheit Gewinn macht. Gewinn! Der konkurriert seit Etablierung des DRG-Systems mit der medizinisch optimalen Behandlung, mit der Folge, dass der Einfluss der Mediziner auf die Behandlung immer mehr schwächer wurde. Parallel zur Stärkung des Einflusses von Politikern und Finanzleuten. Sie finden, das sei eine sehr einseitige Betrachtungsweise? Fragen Sie mal Ihre behandelnden Ärzte! Sie müssen ihnen aber Diskretion zusichern!

Vielleicht verstehen Sie jetzt besser, warum die Abläufe Ihrer stationären Behandlung in dieser Klinik so seltsam waren?

  • Sie wurden entlassen, als Sie sich eigentlich noch gar nicht so fit fühlten, – man hat Sie gar nicht gefragt, sondern Ihnen im besten Fall erzählt, Sie müssten Ihr Bett für einen Notfall frei machen. Wer täte das nicht gerne?
  • Wahrscheinlich konnten Sie Ihren Operateur vor der Operation nicht sehen, denn der hatte an dem Tag gerade Freizeitausgleich, und wenn das direkte Gespräch zwischen Ihnen beiden Voraussetzung für die Operation gewesen wäre – so wie es sich früher mal gehört hat – hätte Ihre Behandlung einen Tag länger gedauert. Ihnen wäre das lieber gewesen? Schon, aber der Finanzmensch des Krankenhauses könnte Ihnen ausrechnen, dass das Krankenhaus weniger an Ihnen verdienen würde. Ihr Problem? Ja! Sie werden von jemandem operiert, den Sie oft gar nicht kennen können. Vertrauen? Wie soll das funktionieren? Dass damit eine der wesentlichen Grundlagen für die Arzt-Patienten-Beziehung flöten geht, interessiert im modernen Gesundheitssystem offenbar niemanden mehr.
  • Was Sie nicht merken: Diese Situation ist auch für den operierenden Arzt alles andere als komfortabel, denn er wird im Operationssaal mit Menschen konfrontiert, die er selber nicht untersucht hat und bei denen er unter Umständen zu einer anderen Entscheidung bezüglich der Operation gekommen wäre. In der gewinnorientierten Medizin fühlen sich Patienten und Ärzte gleichermaßen schlecht.
  • Natürlich war die Pflegebesetzung auf der Intensivstation grenzwertig. Sie haben das an den gestressten Schwestern und Pflegern gemerkt. Zum Reden hatte kaum noch jemand Zeit.
  • Von den Sparmaßnahmen bei der Sauberkeit – die Reinigung wird wegen des gewaltigen Einsparungspotentials schon seit langem in Fremdfirmen „ausgelagert“, die ihren MitarbeiterInnen einen Hungerlohn zahlen – bekamen Sie gar nichts mit, oder erst, nachdem Sie einen dieser multiresistenten Keime eingefangen hatten. Denn Sauberkeit ist die Grundlage der Hygiene.

Inhaber der „Schloss-Straße“ im Krankenhausmonopoly und Spitzenreiter im Wettbewerb der Umwandlung von Medizin in Finanzbetriebe ist wohl der Hauptkrankenhausbetreiber in der schmucken Hansestadt Hamburg, die es mit Werten sonst durchaus großzügig meint, – siehe Elbphilharmonie!

2005 hat man die ehemals städtischen und zugegebenermaßen ziemlich maroden Kliniken an Asklepios-Konzern verkauft, dessen Umgang mit Patienten und Mitarbeitern selbst die sicher einiges gewohnten SPIEGEL-Journalisten zum Staunen brachte (2): Der Druck auf den Intensivstationen und im OP ist enorm, mit Würde hat der Umgang gerade auch mit sterbenden Menschen nichts mehr zu tun.

„ … Interne Dokumente zeichnen das Bild eines Konzerns, der Medizin managt wie eine Wurstwarenfabrik. Dahinter steht ein großes Ziel, ein finanzielles: In diesem Jahr sollen die Kliniken in Hamburg eine Gewinnmarge vor Steuern und Abschreibungen von fast zwölf Prozent schaffen – in einem System, das große Gewinne eigentlich nicht vorsieht…“

Diese Information war und ist frei zugänglich, der Spiegel hat schließlich eine beachtliche Auflage von über 700.000. Niemand hat widersprochen, keine Gegendarstellung, – es ist also wahr! Und trotzdem scheint sich in dieser reichen und stolzen Stadt der SUVs, der Villen und der Reeder niemand daran zu stoßen.

Foto: Manfred Koschabek

Welche Frage drängt sich Ihnen auf? Richtig: Wo bleibt die Kontrolle? Wer kontrolliert, ob ein Krankenhaus die Bürger der Stadt so versorgt, wie es der freien Hansestadt angemessen wäre? Von den ehemals städtischen Kliniken in Hamburg, deren Verkauf an den Asklepios-Konzern 2004 vom damals CDU-dominierten Hamburger Senat gegen einen Volksentscheid durchgesetzt wurde, hält die Stadt Hamburg immer noch 21%. Damit könnte sie gerade in Qualitätsfragen immer noch gut mitreden. Doch die Journalisten des SPIEGEL fanden in dem Vertrag eine interessante Formulierung: Asklepios kann die jeweiligen Vertreter der Stadt austauschen, wenn diese sich nicht konform zu den Interessen des Konzerns verhalten. Was? Ja! Damit ist Kontrolle unmöglich geworden! Abgesegnet wurden diese Verträge vom damaligen CDU-Oberbürgermeister – pardon!, die Hamburger sagen Ersten Bürgermeister – Ole von Beust, der auch noch für das finanzielle Debakel der Elbphilharmonie, den Verkauf stadteigener Immobilien, die dann wieder teuer angemietet werden und für den Abenteuerkurs der HSH-Nordbank zuständig war.

Foto: Manfred Koschabek

In räumlicher Nähe liegt Schleswig-Holstein – und sein Universitätsklinikum, ein Beispiel der vielen, von der öffentlichen Hand gequälten Krankenhäuser: Hier entsteht der finanzielle Druck aus der Geldnot der immer mal wieder wechselnden Landesregierungen. Ein Ministerpräsident mit Größenideen hatte dem kleinen Land ein zweites Universitätsklinikum geschenkt, ohne sich darum zu scheren, wie es zu bezahlen wäre. Und nun machen die Politiker aller Parteien seit Jahren, was sie am besten können: Sie zwingen die Universitätskliniken zum Sparen. Was die Qualität der konkreten medizinischen Arbeit betrifft, gehen die jeweiligen Minister von der Prämisse aus, wo Universitätsklinikum draufsteht, da wird schon universitäre Spitzenmedizin drin sein. Sie übersehen geflissentlich, dass letztere mit so einem Spardruck längst nicht mehr vereinbar ist. Weitgehend in Ruhe gelassen werden nur die Fächer, die einen hohen Gewinn abwerfen. Wenn man deren Personal kürzt, könnte das ja negative finanzielle Konsequenzen haben.

Offensichtlich hat man sich den Konzern, der Hamburg so „erfolgreich“ ist, zum Vorbild genommen: „… Asklepios ist auch ein Sinnbild für das Versagen der Gesundheitspolitik: Sie zwingt Krankenhäuser, Profit zu machen, weil sich die Politik um ihren Teil der Finanzierung einfach drückt. Medizin ohne wirtschaftlichen Druck gibt es deshalb in keinem Krankenhaus mehr, egal ob öffentlich, gemeinnützig oder Teil eines privaten Konzerns. In fast allen privaten Klinikketten, ob bei Helios, Sana oder Schön, werden Gewinnmargen um die zwölf Prozent und mehr verlangt, herrschen strenges Kostenregiment und hoher Druck auf Ärzte und Pfleger. Die Verwerfungen eines durch und durch ökonomisierten Gesundheitswesens, es gibt sie nicht nur bei Asklepios. (3)“….

… sondern in der ganzen Republik. Gerne im Osten, wo finanzielle Glückritter die offensichtlich noch immer nicht so richtig eingeübten Regelungen von Personalrecht und Arbeitszeit für Krankenhausexperimente auf dem Rücken von Personal und Patienten zurechtbiegen, aber auch sonst überall: Druck auf Mitarbeiter, Ignoranz gegenüber den Patienten. Gelegentliche Ausnahmen vor allem in den reichen Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg bestätigen die Regel.

Die Eliminierung von Wertschätzung und Qualität wird in der Regel von Verwaltungschefs oder sogenannten ärztlichen Direktoren umgesetzt. Trotz ihrer oft zur Schau getragenen Begeisterung für diesen traurigen Job muss man sie wohl eher bemitleiden, denn vermutlich hatten auch sie mal andere Jugendträume von guter Medizin.

17. „Führ mich zum Schotter!“ (4)

Das Hauptziel der Medizinwirtschaft ist der Gewinn. Ein grundsätzliches Problem ist dabei die Einstellung vieler Ärzte, Schwestern und Pfleger. Denn die sind anders sozialisiert. Für sie sind die Verantwortung gegenüber den Patienten und die medizinische Exzellenz immer noch wichtigere Inhalte als der schnöde Mammon. Junge Menschen studieren Medizin, um anderen Menschen zu helfen, – dass Krankenhausträger Gewinne machen wollen, haben sie gar nicht im Blick. Es bedarf also erheblicher Anstrengungen, die in der Medizin Tätigen auf den „Kurs zum Schotter“ zu bringen. Das Zauberwort ist „Anreiz“. Den vermitteln clevere Krankenhausleiter auf der Ebene der leitenden Ärzte durch sogenannte „Zielvereinbarungen“, die sich keineswegs auf medizinische Ziele beziehen! Der Begriff bedeutet, dass Chefarzt und oft auch nachgeordnete Ärzte ihr Einkommen steigern können, wenn das finanzielle Ergebnis „ihrer“ Klinik, die längst nicht mehr ihre ist, den Vorgaben der Verwaltungsleitung entspricht, oder sie sogar überschreitet. Im Klartext heißt das, dass in dieser Klinik mehr lukrative Behandlungen gemacht werden. Tatsächlich ist das keine „Kann-Regelung“, sondern der Chefarzt muss! Vielerorts werden in Krankhauskonferenzen die an den Pranger gestellt, die diese Ziele nicht erreicht haben. Das muss einer erst einmal aushalten, Chefarzt hin oder her.

Foto: Manfred Koschabek

Die Bundesärztekammer, ein sicher eher konservatives und nicht anti-kapitalistisches Gremium, hat sich von dieser Praxis schon lange ausdrücklich distanziert (5): Die entsprechenden Punkte eines Modellkatalogs zu Zielvereinbarungen sind fast ausnahmslos mit dem Kommentar „abzulehnen“ versehen. Aber diese Ablehnung wird weitgehend ignoriert.

Schon 2013 hat der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und Direktor der Abteilung für Allgemeine, Viszeral- und Transplantationschirurgie der Ludwig-Maximilians-Universität, Prof. Karl Walter Jauch in einem Interview zu dieser Thematik Stellung bezogen:

„In der Chirurgie geht der Konkurrenzdruck ganz klar zu Lasten der Patienten. Viele werden unnötigerweise operiert. Außerdem sind die Ergebnisse schlechter. … In einzelnen Kliniken gibt es schon EDV-Programme auf den Stationen, die für jeden Patienten abbilden, wann die Fallpauschale verbraucht ist … Jeder Assistenzarzt weiß dann: Jetzt wird es Zeit, den Patienten zu entlassen.“ (6)

Zum Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie wird man nicht gewählt, weil man ein zögerlicher Feingeist ist. Chirurgen sind Menschen der Tat und der klaren Ansage. Die hat Professor Jauch auch gemacht. Klarer geht es nicht. Geändert hat sich an der Anreizmedizin meistens gar nichts. Das ist ein Phänomen, auf das man immer wieder stößt, wenn es um den finanziellen Gewinn geht: Trotz massiver und erdrückender Gegenargumente wird an einer falschen und gefährlichen, in vielen Fällen menschenverachtenden Praxis festgehalten.

Auch wenn es ums Sterben geht. An schweren Krankheiten zu sterben, ist hart. Für viele Menschen wäre es hilfreich und angstmildernd, auf eine Palliativstation aufgenommen zu werden, weil Ärzte und Pflegepersonal dort auf die Bedürfnisse des Sterbenden eingestellt sind. In einem Interview mit Prof. Sven Gottschling, einem Palliativmediziner, stoße ich auf seine Äußerung zur konkreten Situation der Palliativmedizin (7):

„Sehr viele Patienten sterben, während sie auf einen Platz auf einer Palliativstation warten … bei Kindern sind wir bundesweit sogar nur bei 20% Flächenabdeckung. Es ist gruselig, wie manche Krankenkassenverwaltungen das verschleppen. … es ist schwierig, Krankenhausträger dazu zu begeistern, eine Palliativstation aufzubauen. Die investieren lieber in Gelenkersatz und Wirbelsäulenchirurgie, denn da kommen auf jeden Fall schwarze Zahlen raus. Palliativmedizin ist teuer.“

Wie teuer ist Humanität?

Hier gelangen Sie zur Übersicht aller bisher veröffentlichten Kapitel.

Quellen:

  1. DRG´s: Diagnosis related groups = Diagnosebezogene Fallgruppen
  2. SPIEGEL online, Ausgabe 51/2016 vom 16. 12. 2016: Der kranke Konzern.
  3. SPIEGEL online, Ausgabe 51/2016, vom 16. 12. 2016
  4. Bundesaerztekammer.de: Bewertung von Zielvereinbarungen in Verträgen mit leitenden Krankenhausärzten durch die gemeinsame Koordinierungsstelle der Bundesärztekammer und des VLK, 12.12. 2013
  5. Zentraler Satz aus dem Film „Jerry Maguire“, Regie Cameron Crowe, wird von Cuba Gooding zu Tom Cruise gesagt …
  6. „Zu Lasten der Patienten“ Chirurgenpräsident Jauch über falsche Anreize. Interview Christina Berndt. SZ Sa/So 5./6. Januar 2013, Nr 4, S. 20
  7. Sven Gottschling: Leben bis zuletzt. Was wir für ein gutes Sterben tun können. Fischer 2016