Geld ist komplex …

und wie alle komplexen Dinge ziemlich schwer zu verstehen. Daher noch eine Annäherung …

22. „Über Geld spricht man nicht.“

Woher meine keineswegs begüterten Eltern diesen Spruch hatten, weiß ich nicht. Aber er scheint fest in den Gehirnen verankert zu sein. Große Geldgeschäfte oder Verträge, in denen Geld eine wichtige Rolle spielt, werden in einer immer transparenter werdenden Gesellschaft nach wie vor undurchsichtig gehalten.

Also reden wir übers Geld.

Foto: Manfred Koschabek

Geld ist eine vielschichtige Angelegenheit. Für den Berufsanfänger, der sein erstes Gehalt bekommt, bedeutet Geld etwas ganz anderes als für den Hartz-IV-Empfänger. Der Künstler, der für die nächste Ausstellung die Euros einzeln zusammenkratzt, erlebt Geld völlig anders als der Investor, der mal eben in ein aussichtsreiches start-up-Projekt ein paar Millionen steckt. Genügend – was ist für wen genug? – Geld erlaubt die Teilhabe am öffentlichen und sozialen Leben,- oder den Kauf der Villa in Blankenese und das dort bekanntlich dringend benötigte SUV.

Und auch der gut verdienende Vorstand eines mittelständischen Unternehmens spielt noch in einer völlig anderen Liga als einer dieser Superreichen wie Paul Singer 1. (Auf den kommen wir noch.)

Mit Geld kann man Menschen beschenken, retten, unheimlich tolle, kreative Sachen machen, aber die gegenwärtige Dominanz der Finanzwirtschaft wird uns alle zugrunde richten, wenn wir uns nicht bald etwas einfallen lassen.

Über Geld ist schon alles Wissenswerte geschrieben worden. Eine kleine Auswahl an Büchern, nach meinem persönlichen Geschmack, in alphabetischer Reihenfolge, alle gut lesbar, auch für Laien:

  • Anat Admati, Martin Hellwig: Des Bankers neue Kleider 2
  • Anthony B. Atkinson: Inequality 3
  • Colin Crouch: Die bezifferte Welt 4
  • Angus Deaton: The Great Escape 5
  • James K. Galbraith: The End of Normal 6
  • John Lanchester: Die Sprache des Geldes – und warum wir sie nicht verstehen sollen 7
  • Michael Lewis: The Big Short 8
  • Sandra Navidi: Superhubs 9
  • Thomas Piketti: Das Kapital im 21. Jahrhundert 10
  • David Stuckler: The Body Economic – Why Austerity Kills 11
  • Christoph Türke: Mehr – Philosophie des Geldes 12
  • Joseph Vogl: Das Gespenst des Kapitals 13

Da diese Sammlung sowohl allgemeine kluge Köpfe, als auch ausgewiesene, teilweise mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Finanz- und Wirtschaftsexperten umfasst, können Sie ohne allzu große Bedenken davon ausgehen, dass die darin gemachten Aussagen der Realität entsprechen, dass sie den Ernst der Lage zutreffend beschreiben, oder anders ausgedrückt, dass sie wahr sind. Geld ist ein Problem zu dessen Begrenzung es genügend gute Vorschläge gibt.

Aber: Politiker sind offenbar legasthenisch und Finanzleute aus gutem Grund desinteressiert. Wurde all das vergeblich geschrieben? Sind diese Bücher Feigenblätter für eine hoch attraktive, aber eben auch total unsittliche Realität?

Geld lässt Werte verfallen. Besondere Dinge verlieren oft ihren Wert, wenn sie mit Geld in Berührung kommen. Genau genommen verschiebt sich ihr Wert aus dem Bereich der Besonderheit in den der beliebigen Austauschbarkeit. Dann wird das nicht mehr wertgebundene Geld frei, und einige wenige bekommen mehr davon, sehr viel mehr.

Ich finde Flugzeuge faszinierend!

Wenn ich in Hamburg an der Elbe sitze und plötzlich ein Flieger auftaucht, aus der Weite des Himmels im Sinkflug auf den Flughafen Fuhlsbüttel, der jetzt nach Helmut Schmidt benannt wurde, wenn die Räder ausgefahren werden, und das Geräusch allmählich lauter wird – muss ich jedes Mal hinschauen, obwohl ich schon so viele Flugzeuge habe landen sehen. Irgendwie kann ich wohl immer noch nicht fassen, dass so ein schweres Teil aus Metall überhaupt fliegen kann. Fliegen ist ein Wunder! Auch das Mitfliegen war mal ein besonderes Erlebnis: Die Wolkenlandschaften tief unten, ein Sonnenaufgang, unsere Erde von oben!

Zugegeben, eine sehr romantische Betrachtungsweise. Aber Fliegen ist schon lange ein Teil unseres Alltagslebens geworden. Und es hat sich in den letzten Jahren vollkommen verändert, vorsichtig ausgedrückt.

Sie fliegen viel und gerne, vor allem in den Urlaub? Sie wollen es billig haben? Deshalb nehmen Sie in Kauf, dass der Flieger gerammelt voll ist, dass Beinfreiheit ein unerfüllbarer Traum ist, die Verpflegung grauenvoll und die Stimmung der Flugbegleiter zum Abgewöhnen. (Vieles davon lässt sich ja 1:1 auf die Zustände in den Krankenhäusern übertragen!) Sie meinen, für den Preis sei ja nicht mehr zu erwarten?

Ist das so? Es ist nur die halbe Wahrheit. Der Wunsch nach billigen Flügen, nach billiger Medizin ist nur ein Grund für den Qualitätsverfall! Der viel wichtigere ist, dass billiges Fliegen, billige Medizin immer noch so viel Geld abwirft, dass damit unglaublich viel Geld verdient werden kann. Nicht von den Piloten, dem Bord- oder Bodenpersonal, nicht von den Ärzten und schon gar nicht vom Pflegepersonal, – die alle machen den großen Gewinn nicht.

Wie ich darauf komme? Wenn Sie Zeitung lesen und auch mal ins Internet schauen, werden Sie feststellen, dass es da eine Staffelung gibt: Der Ärztliche Direktor eines bekannten Universitätsklinikums im Norden bekam in 2016 ein fixes Jahresgehalt von rund 460.000 Euro und 180.000 Euro wurden als erfolgsabhängige Provision ausgezahlt 14, trotz eines seit Jahren ziemlich unveränderten Defizits von über 40 Millionen. Das ist ja nicht schlecht, vor allem vor dem Hintergrund, dass an allem anderen wird seit Jahren gespart, gespart, gespart, vor allem am Pflegepersonal.

Ein viel „gesünderes“ Einkommen bekommt der Vorstand der Lufthansa 15: Inklusive Aktienoptionen und Rentenansprüchen kam er 2016 auf 3,5 Millionen Euro – und das trotz der Konkurrenz mit den Billigfliegern und der nervigen Pilotenstreiks. Sein Unternehmen schreibt inzwischen wieder satte Gewinne. Aber werden die an die Flugbegleiter ausgeschüttet oder für größere Sitzabstände verwendet? Nein, ich muss Sie enttäuschen: Das ist eine naive Vorstellung. Sogar der CEO Winkelmann, der Air-Berlin gerade eben in die Pleite führen durfte, bekommt 4,5 Millionen 16, aber von den 8000 Mitarbeitern werden wohl nur 1700 übernommen, das Unternehmen wird zerschlagen, und für die meisten Mitarbeiter wird auf Initiative des alten Konkurrenten Lufthansa ein Betriebsübergang verhindert. Last not least bleiben viele Kunden auf den gelösten Tickets sitzen 17.

Quelle: boerse.de vom 28.10.2017

Ich gebe zu, – angesichts solcher Geschichten könnte man schon über soziale Gerechtigkeit ins Grübeln kommen, zumal in den kontrollierenden Gremien hochrangige Mitglieder von Gewerkschaften oder regierungstragenden Parteien sitzen. Aber glauben Sie mir, die hohen Gehälter von CEOs sind vielleicht peinlich, aber nicht das wirkliche Problem: Das Geld fließt in die Taschen der Aktionäre und Geldgeber. In der Aktienstatistik der Lufthansa war 2017 das beste Jahr seit Beginn der Privatisierung in den 1990ger Jahren. Am 25.10.2017 hatte die Lufthansa ein neues „All-Time-Hoch“ erreicht 18, wie das im Börsen-Jargon heißt.

Interessanterweise werden auch im Gesundheitswesen, dessen Kosten angeblich explodieren 19, die erprobten Mittel aus gewinnbringenden Wirtschaftsunternehmen eingesetzt, um Krankenhäuser zu lukrativen Unternehmen zu machen:

Bei der Lufthansa wird outgesourct, was sich irgendwie outsourcen lässt: Das Bodenpersonal, dessen Freundlichkeit und Effizienz immer noch in der Werbung auftaucht, wird bald überhaupt nicht mehr zur Lufthansa gehören. Das verlorengegangene Gepäck wird durch irgendwelche Unternehmen bearbeitet, die zum Teil in Krakau sitzen, – Frankfurt? Krakau? – mit den entsprechenden Verlängerungen bei der Schadensersatzzahlungen. Das Essen, die Verspätungen, die Gehälter in den Tochtergesellschaften, das Gekeife um die Pilotengehälter, – alles Lufthansa und doch nicht Lufthansa.

Und ebenso machen es die großen Kliniken: Alles auslagern, was ausgelagert billiger ist- von den Reinigungsunternehmen über die Essensbeschaffung bis hin zur lebenswichtigen Sterilisierung der Instrumente, – das Unternehmen wird neu strukturiert und möglichst viel wird outgesourct, weil bei den langjährigen Mitarbeitern die alten, ach so teuren Verträge nicht mehr gelten, wenn sie im outgesourcten Unternehmen arbeiten müssen und man so de facto die vertraglich festgelegten Gehälter kürzen kann, – und so weiter.

Ob mit diesen Methoden im Gesundheitswesen tatsächlich irgendwann höhere Gewinne gemacht werden, ist zumindest bei staatseigenen Häusern nicht so klar. Hier fließt das Geld auch nicht in eine Aktiengesellschaft, sondern in die Staatskasse. Der garantierte Preis ist in Wirtschaftunternehmen wie in Krankenhäusern gleich: der Zerfall der Mitarbeiterstruktur, der Verlust der Mitarbeiterzufriedenheit, – corporate identity gab´s früher mal, der Verfall von Berufsbildern – Chefärzte wie Piloten!

Und die Konsequenz?

  • Abnahme von Qualität und Sicherheit. Ja, auch Sicherheit.
  • Das Risiko, Ihr Risiko nimmt zu, damit mehr Gewinn gemacht werden kann.
  • Fliegen wird weniger sicher, Medizin wird weniger sicher, – und Sie mittendrin? Wollen Sie das? Wirklich?

Heute ist es üblich, das große Gewinnmachen von Seiten der Verantwortlichen und der sie begünstigenden Politiker mit einer Attitude zu betreiben, die der Begriff der Krokodilstränen 20 am besten beschreibt:

Es ist ja so furchtbar,

  • wenn kranke Menschen unwürdig behandelt werden, weil der Medizinbetrieb leider, leider Gewinne abwerfen muss,
  • wenn demnächst einmal – warten Sie es ab! – ein Flieger runterfällt, weil der frustrierte und völlig überarbeitete Pilot nichts mehr auf die Reihe gekriegt hat,
  • wenn Menschen an den Stickoxiden sterben, die unsere wunderbaren Dieselmotoren in leider viel zu großer Menge ausstoßen,
  • wenn irgendwann auch bei uns, und nicht nur im fernen London, Menschen verbrennen, weil sich auch hierzulande die Bauherren die teuren unbrennbaren Dämmmaterialien für Häuserfassaden nicht leisten wollen 21,

aber die kapitalistischen Spielregeln stehen nun mal nicht zur Disposition. Für keine der hierzulande derzeit regierungsbildenden Parteien. So ist das nun mal.

Hier gelangen Sie zur Übersicht aller bisher veröffentlichten Kapitel.

Quellen:

  • 1: Jean Ziegler, Der schmale Grat der Hoffnung, C. Bertelsmann Verlag, München 2017, S.30.
  • 2: Anat Admati, Martin Hellwig: Des Bankers neue Kleider, FinanzBuch Verlag, München 2013, ISBN 978-3-89879-825-9
  • 3: Anthony B. Atkinson: Inequality, Harvard University Press, Cambridge Mass., 2015, ISBN 978-0-674-50476-9
  • 4: Colin Crouch: Die bezifferte Welt, Suhrkamp, Berlin 2015, ISBN 978-3-518-42505-3
  • 5: Angus Deaton, The Great Escape, Princeton University Press, New Jersey, 2013 ISBN 978-0-691-16562-2
  • 6: James K. Galbraith: The End of Normal, Simon & Shuster, New York 2014, ISBN 978- 1-4767-7770-2
  • 7: John Lanchester, Die Sprache des Geldes, und warum wir sie nicht verstehen (sollen). Klett-Cotta, J. G. Cotta´sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, Stuttgart, 2015 ISBN 978-3-608-94899-0
  • 8: Michael Lewis: The Big Short, Penguin Books, 2010, ISBN 978-0-141-98330-1
  • 9: Sandra Navidi: Superhubs, FinanzBuch Verlag, München 2016, ISBN 9778-3-98979-959-1
  • 10: Thomas Piketti: Das Kapital im 21. Jahrhundert, CH Beck, München 2014, ISBN978-3-406-68865-2
  • 11: David Stuckler: The Body Economic – Why Austerity Kills, Basic Books, Philadelphia 2013, ISBN 978-0-465-06398-7
  • 12: Christoph Türke: Mehr – Philosophie des Geldes, CH Beck, München 2015, ISBN 978-3-406-67457-0
  • 13: Joseph Vogl: Das Gespenst des Kapitals, diaphanes, Zürich 2010, ISBN 978-3-03734-2
  • 14: Kieler Nachrichten vom 10. 8. 2016
  • 15: SPIEGEL ONLINE vom 28. 4. 2016
  • 16: rtlnext.rtl.de vom 19.10.2017
  • 17: Das Aus, SZ Nr. 248, vom Freitag, den 27. Oktober 2017
  • 18: börse.de vom 28. 10. 2017: Lufthansa-Aktie
  • 19 Krankes System mit Knalleffekt von Sven Böll, Spiegel online vom 8. 10. 2009
  • 20: „Krokodilstränen vergießen“ ist eine Redensart, die eine geheuchelte Zurschaustellung von Trauer, Betroffenheit oder Mitgefühl zum Ausdruck bringen will. https://de.wikipedia.org/wiki/Krokodilstränen
  • 21: „Die beste Feuerwehr der Welt ist da machtlos“, Experte Reinhard Ries über den Schutz vor Hochhausbränden, im Interview mit Felicitas Kock, SZ Nr. 137, Freitag, 16. Juni 2017, S. 9